„Lost Traction“ ist mein Statement
26. April 2023
RAHEN alias Ralf Henrich ist einer der führenden Komponisten und Produzenten des SOUND OF FRANKFURT. Seit 1982 arbeitet er als Komponist, Musikproduzent und Künstler. Bis heute hat er mehr als 100 Songs (12′′/CD/Streaming/etc.) unterschiedlicher Stilrichtungen und Genres veröffentlicht, sowohl unter seinem Künstlernamen RAHEN als auch unter zahlreichen Projektnamen. Wir durften RAHEN bereits einmal interviewen, das war im September 2018.
Vor dem Hintergrund seines neuen Albums „Lost Traction“ hatte ich die Gelegenheit, mich mit ihm ausführlich unterhalten zu können.
Jens:
Ralf, wir haben uns ja bereits 2018
unterhalten, der eigentliche Anlass war, den Ursprung des Techno aus eurer Sicht als seinerzeit einflussreiche Frankfurter Produzenten zu beleuchten. Aber die Elektronik war es
nicht, die dich zur Musik brachte. Erzähl doch noch mal, was bzw. wer dein Interesse als Heranwachsender geweckt hat.
RAHEN:
So genau lässt sich das
wahrscheinlich nicht sagen. Musik faszinierte mich schon von Kindesbeinen an. Mit ca. 10 Jahren begann ich dann Gitarre zu lernen. Es reichte immerhin für eine Schulrockband, wo
ich Rhythmus-Gitarre und Gesang beisteuerte. Meine Begeisterung galt damals wie heute den Genres Hard Rock, Soul/Funk, Hip Hop, New Wave, Gothic, New Romantic sowie die damaligen
Italo- und Discotrends. Aber auch Ambient und die damalige IDM-Musik fand ich sehr spannend und inspirierend.
Jens:
Hast du eine Musikschule besucht
oder bist du Autodidakt?
RAHEN:
Während meiner musikalischen
Entwicklung hatte ich das Glück, einige Jahre
lang bei einem Gitarrenlehrer Unterricht zu nehmen. Doch Ende der 70er- Jahre und Anfang der 80er-Jahre, als ich mich immer mehr für elektronische Musik zu begeistern begann, wurde mir schnell klar, dass ich in eine andere Richtung gehen wollte. Ich kaufte mir meine ersten Synthesizer... einen Moog Rogue, gefolgt von einem kleinen Casio und kurze Zeit später einem Roland SH-101 und Teisco Synth. Um meine Musik zu produzieren, nutzte ich einen Fricke Drumcomputer und Sequencer und begann, meine eigenen Demotapes aufzunehmen. Das war nicht immer einfach, da ich oft genug mühsam Geld sparen oder die Verwandtschaft anpumpen musste. Aber die faszinierenden elektronischen Klänge und die Möglichkeiten, die sie boten, ließen mich nicht mehr los.
Jens:
Ich komme aus Südwestfalen und
kann nicht behaupten, in den 80ern eine lebendige Musikszene um mich gehabt zu haben. Natürlich gab es diverse Rockbands, aber Elektronisches suchte man vergeblich. Wie kommt es
denn, dass gerade der Frankfurter Raum so elektroaffin war? Zumal ja auch für Frankfurter die damaligen Synthesizer und was man sonst noch dafür brauchte, sehr teuer waren, vor
allem für junge Enthusiasten ohne besonderes Einkommen.
RAHEN:
Als Musiker kann ich gut
nachvollziehen, dass du in den 80er-Jahren in Südwestfalen nicht viel Elektronisches um dich herum erlebt hast. Die musikalischen Entwicklungen und Trends sind oft regional sehr
unterschiedlich. Aber warum war gerade Frankfurt so elektroaffin? Ein wichtiger Faktor war sicherlich, dass Frankfurt schon immer ein kultureller Schmelztiegel war. Hier kamen
Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Ethnien zusammen, die wiederum ihre eigenen musikalischen Einflüsse mitbrachten. Das schuf eine einzigartige musikalische Atmosphäre,
die viele verschiedene Genres hervorbrachte.
Außerdem hatte Frankfurt in den 80er-Jahren eine sehr lebendige Musikerszene, die noch stärker war als heute. Es gab viele talentierte Musiker und Produzenten, die bereit waren, neue Dinge auszuprobieren und mit verschiedenen Musikinstrumenten und Technologien zu experimentieren. Die Clubszene in Frankfurt war ebenfalls sehr lebendig und bot eine Plattform für innovative und experimentelle Musik.
Ein weiterer Faktor, der zur Entstehung der elektronischen Musikszene in Frankfurt beigetragen hat, war die Tatsache, dass Frankfurt für lange Zeit eine herausragende Messestadt war. Das zog viele Menschen aus verschiedenen Ländern und Branchen an und schuf eine lebhafte und pulsierende Atmosphäre. Die Clubszene konnte davon profitieren und ein breiteres Publikum ansprechen.
Natürlich waren die damaligen Synthesizer und andere technologische Instrumente sehr teuer, vor allem für junge Enthusiasten ohne besonderes Einkommen. Aber trotz dieser Hindernisse war die elektronische Musikszene in Frankfurt sehr innovativ und erfolgreich. Das lag vor allem an der Kreativität und dem Engagement der Musiker und Produzenten, die bereit waren, neue Wege zu gehen und Grenzen zu überschreiten.
Auch freue ich mich über die Eröffnung des MOMEM in Frankfurt, das einen wichtigen Schritt darstellt, um der Stadt und der Region für ihre bedeutende Rolle in der Entwicklung der elektronischen Musik Anerkennung zu zollen. Gleichzeitig ist es bedauerlich, dass viele für die Rhein-Main-Region wichtige Künstler und Musiker der elektronischen EBM und Dance-Musik als Wegbereiter des „Sound Of Frankfurt“ dort kaum Erwähnung finden. Ich denke jedoch, dass das MOMEM in Zukunft die Möglichkeit haben wird, noch mehr Aspekte der elektronischen Musikgeschichte zu erforschen und auszustellen, um die Bedeutung von Frankfurt und der Region für die elektronische Musik noch umfassender zu würdigen.
Ralf und Talla 2XLC – wie 1983 alles begann
Jens:
Es gab damals in der Frankfurter
Region einige sehr erfolgreiche Projekte wie Snap oder Captain Jack, die für Vocalparts amerikanische Soldaten verpflichtet haben. Spielten deren Präsenz und musikalischen
Einflüsse auch insgesamt im Hinblick auf die Entwicklung des neuen elektronischen Genres eine Rolle?
RAHEN:
Aus meiner Sicht hat die Präsenz und Einfluss amerikanischer Soldaten in Frankfurt und der gesamten Region einen
bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung des neuen elektronischen Genres. Insbesondere durch die Clubs, die von den GIs besucht wurden und die Musikstile, die sie mitbrachten,
wurde eine Mischung aus Soul, Funk, Electro und HipHop in Frankfurt populär. Michael Münzing, damals der Resident DJ im Dorian Gray, hat tatsächlich die B-Side der Single „Feel
It Right“ von Axodry remixt, bevor er später mit Luca Anzilotti Projekte wie Snap und andere erfolgreiche Dance- Acts ins Leben rief.
Als Künstler kann ich sagen, dass die Projekte von Michael Münzing und Luca Anzilotti eine völlig andere Liga waren als der damals vorherrschende Euro Dance Sound aus Frankfurt. Insbesondere seine Remix-Version
unseres Erstlingssongs „Feel It Right“ von Axodry durch Michael zeigte mir, dass es auch in der elektronischen Musikszene Raum für Innovation und Kreativität gibt. Jedoch muss ich zugeben, dass ich mich später von dieser Szene ein Stück weit abgewendet habe, da mir der kommerzielle und gefällige Charakter des Mainstreams nicht mehr zusagte. Letztendlich hat diese Zeit jedoch definitiv die musikalische Entwicklung in Frankfurt und der gesamten Region geprägt und gezeigt, wie wichtig kulturelle Einflüsse sein können. Der Einfluss der GIs auf die Entwicklung des elektronischen Genres und die Frankfurter Musikszene insgesamt war also bedeutend und nicht zu unterschätzen.
Jens:
Was würdest du als dein erstes
Projekt bezeichnen, wovon du sagen würdest, das die ersten brauchbaren Ergebnisse hervorgebracht hat, auch wenn es möglicherweise über den Demotape-Status nicht herausgekommen
ist?
RAHEN:
Mein erstes musikalisches Projekt war AXODRY „FEEL IT RIGHT“, welches ich zu Hause vorprogrammiert hatte und das später im Tonstudio auf 24 Track Tape aufgenommen und gemischt wurde. Für Feel It Right zuvor gab es auf 4-Spur-Cassette unzählige Experimente und Versuche mit sehr überschaubaren Equipment.
Jens:
Wie kam denn der Kontakt zu deinen
damaligen Mitstreitern Tomalla (Talla 2XLC), Henninger, Ader usw. zustande?
RAHEN:
Während meiner Ausbildungszeit
habe ich Talla kennengelernt. Wir waren beide Industriekaufleute in demselben Unternehmen. Zu dieser Zeit begann Talla damit, Schallplatten aufzulegen und hatte als DJ sowie als
Verkäufer von Vinyl bei City Music ein Gespür für Trends. Er belieferte die DJ-Szene im Rhein-Main-Gebiet mit angesagten 12′′ aus Übersee. Da wir beide Musik
machen wollten, haben wir uns zusammengesetzt und er hat mir viele Platten vorgespielt, die er mochte. Zusammen mit meinem musikalischen Hintergrund entwickelten wir unseren
eigenen Sound, der die Grundlage für das erste gemeinsame Projekt „FEEL IT RIGHT“ von AXODRY aus dem Jahr 1982/83 bildete. Zu dieser Zeit war ich noch unter meinem Künstlernamen
THE OUTLAW (später RAHEN) bekannt. Der Song wurde von uns gemeinsam mit AXEL HENNINGER in dessen Studio (DYNATON-Studio bei
Darmstadt) aufgenommen und vollständig produziert. Einige der nachfolgenden Maxi-Singles wurden ebenfalls dort aufgenommen.
Jens:
Talla war von Haus aus DJ, du der
Produzent im Hintergrund. Diese Kombination ist vermutlich optimal, um erfolgreich zu produzieren. Wie siehst du das?
RAHEN:
Im Rückblick denke ich, dass die
Kombination aus Freundschaft und gemeinsamem Interesse an elektronischer Clubmusik eine solide Grundlage für unsere Arbeit und musikalischen Visionen darstellte. Talla, als DJ
und Plattenverkäufer, war stets auf dem neuesten Stand internationaler Trends und Strömungen. Ich, als Produzent und Komponist, hatte zwar ein breites musikalisches Spektrum,
aber nicht so viel Erfahrung im Clubbereich.
Jens:
Ich habe Anfang der 90er, also gut
10 Jahre später als ihr, auch fleißig rudimentär produzierte Demos an alle möglichen Labels geschickt. Leider gab es, wenn überhaupt eine Reaktion kam, nur Absagen. Wie habt
ihr es denn angestellt, schnell einen Plattenvertrag, damals bei Westside, zu bekommen? Oder hatte das auch mit dem Frankfurter Netzwerk zu tun?
RAHEN:
Ja, ich denke auch, dass es damals
eine Kombination aus Glück und Fügung war. Zu dieser Zeit waren die Netzwerke, von denen du sprichst, noch nicht wirklich etabliert. Bei uns war es so, dass wir bei City Music
gearbeitet haben und die beiden Vertriebsmitarbeiter der Schallplattenfirma Bellaphon regelmäßig zu Besuch kamen. Sie hatten den Wunsch, sich mit einem eigenen Schallplattenlabel
selbstständig zu machen und haben das dann auch gemacht. Ihr Label hieß WESTSIDE MUSIC und AXODRY war mit dem Debüt FEEL IT RIGHT die zweite Veröffentlichung. Wir waren selbst
überrascht von den begeisterten Reaktionen auf „FEEL IT RIGHT“. Es war für das Label und für uns der erste große Erfolg. Wir konnten im fünfstelligen Bereich verkaufen und
waren international in vielen Dance Charts sehr gut platziert.
Jens:
Ich hatte mir damals auch einige
Produktionen von euch gekauft, u. a. die Maxi „Generator 7/8“ und später dann einige der Seven Eleven-Reihe. Aber
es war fast ausnahmslos exotisch, fast keiner meiner Bekannten damals kannte etwas davon, im TV und Funk waren diese Singles fast gar nicht präsent. Waren denn die Erlöse trotzdem hoch genug, um davon leben oder wenigstens in Equipment investieren zu können?
RAHEN:
Vielen Dank, dass du einige unserer Produktionen wie „Generator 7/8“ und einige der Seven Eleven-Reihe gekauft hast. In
den 80er-Jahren war unsere Musik eher exotisch und nicht so bekannt in den Mainstream-Medien wie TV und Radio. Trotzdem konnten wir durch meine Verkäufe genug Einkommen
generieren, um es wieder in meine Ausrüstung zu investieren und weiterhin hochwertige Musik zu produzieren.
Unsere treue Fanbase war und ist ein wichtiger Faktor, die unsere Musik mochten und uns unterstützten. Darüber hinaus waren wir sehr aktiv und gut vernetzt in der Clubszene, wo wir oft auftraten und uns eine treue Fangemeinde aufbauen konnten.
Als Produzent habe ich auch von meinen Erfahrungen und Kontakten in der Musikbranche profitiert. Wir haben mit anderen Musikern und Produzenten zusammengearbeitet und uns gegenseitig unterstützt, um unsere Karrieren zu fördern und unsere Musik voranzutreiben. Wir haben auch unsere Musik über unabhängige Plattenlabels veröffentlicht, die uns eine größere Reichweite und mehr Freiheit bei der kreativen Gestaltung unserer Musik boten.
Ich bin immer noch leidenschaftlich dabei und gebe mein Bestes, um meine Musik und meine Visionen zu teilen. Das macht einfach großen Spaß.
Leider hatten wir kein Glück mit dem Label Westside, da sie den Großteil der Lizenzen für sich behalten haben, wie es damals üblich war. Somit waren mein Partner Talla und ich immer Vollzeit am arbeiten, um unsere Musikkarriere voranzutreiben. Aber später haben wir beschlossen, unser eigenes Label zu gründen und so entstand MUSIC RESEARCH im Jahre 1986/87. Unsere ersten Schritte unternahmen wir in den Kellerräumen eines Unternehmens in Frankfurt/M. Höchst, welches von Talla als Sponsor gewonnen werden konnte. Dort, und später in Bad Homburg, haben wir viele bekannte Künstler und Bands produziert wie z. B. AIRCRASH BUREAU, ARMAGEDDON DILDOS, LEATHERSTRIP, BLIND VISION, X-MARKS THE PEDWALK, NOISE CONTROL, UMO DETIC und viele mehr. Einige von
diesen Bands haben mit den von uns produzierten Debütalben ihren Durchbruch und ihre ersten Erfolge in der Musikszene gefeiert. In der Regel war Talla für das Management zuständig, während ich mich um die Produktionen kümmerte. Im Laufe der Zeit entstand auch eine intensivere Zusammenarbeit mit ZYX Records sowie vielen internationalen Labels.
Jens:
Aus der Reihe tanzte damals OK mit
den Singles „Tanzen“ und „Education“, die waren sehr präsent und hoch in den Charts. Hattest du mit diesem Projekt auch in irgendeiner Form zu tun?
RAHEN:
Nein, das habe ich eher so am Rande
mitbekommen.
Jens:
Die frühen Achtziger waren auch
die Zeit des aufkommenden EBM, allen voran natürlich Front 242. Deine Produktionen hatten damals für mein Empfinden vieles davon, gehst du konform? Spielte diese Band eine Rolle
bei dir damals?
RAHEN:
Absolut, ich stimme dir zu, dass
Front 242 in den Anfängen des EBM eine bahnbrechende Band war. Ich bin ein großer Bewunderer ihrer Musik und kenne sie schon seit langer Zeit. Tatsächlich hatten wir sogar
Verhandlungen mit Front 242, als ich noch bei Music Research tätig war.
Ihre einzigartige Klangästhetik hat viele Musiker beeinflusst und inspiriert, darunter auch mich selbst. Allerdings habe ich auch andere musikalische Einflüsse, wie Wave, New Romantic, HipHop, Disco und Soul/Funk in meine Musik integriert, um meinen eigenen Sound zu entwickeln. Ich denke, es ist wichtig, verschiedene Einflüsse und Stile zu kombinieren, um etwas Einzigartiges zu schaffen und seine eigene musikalische Vision zu verwirklichen.
Live in Bensheim
Jens:
Mit Robotiko Rejekto bist du in der
jüngeren Vergangenheit regelmäßig auf Tour oder spielst live. Gab es damals auch schon Live-Gigs?
RAHEN:
Bedauerlicherweise nein. Unser
Schaffen beschränkte sich bis zum Jahr 2012 ausschließlich auf die Produktion von Musik im Studio. Erst mit dem Erscheinen des Comeback-Albums „Corporate Power“ begannen vermehrt
Anfragen von Promotern und Veranstaltern über soziale Medien einzutreffen, die uns dazu bewegten, eine Live-Show unserer Projekte zu planen. Es gab jedoch diesen einen
legendären Auftritt in der Frankfurter Music Hall in den 80er-Jahren.
Jens:
Du bist ja fast weltweit unterwegs,
vor allem scheint ihr im spanischen Sprachraum sehr beliebt zu sein. Kannst du sagen, woran das liegen könnte?
RAHEN:
So ganz genau kann ich das nicht
sagen. Wahrscheinlich hat dort der Vertrieb eine sehr gute Arbeit geleistet und unsere Musik in die Clubs und zu den Fans gebracht. Meine Musik hat auch einen starken Rhythmus
und
Groove, der gut zum Tanzen geeignet und in der Clubszene sehr beliebt ist. Auch wurden von meinen Songs unzählige Remixes erstellt, die sich international an die unterschiedlichsten Stile angepasst haben.
In Lateinamerika und Spanien habe ich das Publikum und die Fans als sehr enthusiastisch erlebt. Wir haben in erstklassigen großen Live-Clubs spielen dürfen, was ein sensationelles Gefühl für uns war. Das deutsche Publikum ist im direkten Vergleich vielleicht einen Hauch reservierter, aber auch in Leipzig haben wir im Rahmen des Wave Gothic Treffens in der vollen Moritzbastei gespielt. Diese Show war für uns ein absolutes Highlight.
Mit Fans in Sao Paulo
Jens:
Aus welchen Mitgliedern besteht
deine Liveband, ist das dieselbe Besetzung, die auch im Studio involviert ist?
RAHEN:
Meine Liveband bestand in der
Vergangenheit aus verschiedenen Musikern und Künstlern. Zum festen Team gehören aber auf jeden Fall:
RAHEN... Mixing, Programmierung,
VocalsAva Nima... Drums und Vocals, Mark4... Live mixing und Sampling. Zeitweise waren für einige wenige Shows Verity Vian und Marco Drago mit dabei.
Im kreativen Prozess der Komposition und Produktion meiner Musik arbeite ich üblicherweise alleine, um mich voll und ganz auf meine künstlerische Vision zu konzentrieren. Gelegentlich erhalte ich jedoch wertvolle Unterstützung von meinem Sohn Noah Eliyas, der als erfolgreicher Soul-/ Funk- Producer einen erfrischenden Blickwinkel auf meine Musik wirft und somit neue Impulse setzt.
Im Hinblick auf die Texte meiner Songs arbeite ich hauptsächlich mit Fae Cross zusammen. Wir haben eine enge Zusammenarbeit aufgebaut, die sich über viele Jahre erstreckt und auf gegenseitigem Vertrauen und Respekt basiert. Zusammen erschaffen wir Texte, die sich nahtlos in meine Musik einfügen und eine tiefere emotionale Bedeutung vermitteln.
Jens:
Du hattest bzw. hast zahlreiche
Projekte, Axodry, MCL, Moskwa TV, Robotiko Rejekto – habe ich noch was vergessen?
RAHEN:
Ja, es fehlen noch welche
...
Project One, Whispering Colours, Pyrrhus Rage.
Zu Gast in Houston
Jens:
Warum so viele, wolltest du damit
immer jeweils einen eigenen Charakter erzeugen oder waren die einfach nur unterschiedlich besetzt?
RAHEN:
Bei jedem meiner musikalischen
Projekten hatte ich eine andere Musikrichtung im Rahmen der elektronischen Musik im Blick, weshalb ich auch unterschiedliche Namen und Besetzungsvarianten wählte. Normalerweise
gab es jedoch keine wesentlich unterschiedlichen Besetzungen, außer bei den Sängerinnen oder Sängern. Hier variierte ich gerne und suchte nach passenden Stimmen, um meine
musikalischen Ideen und Konzepte bestmöglich umzusetzen.
Jens:
Dein neues Album „Lost Traction“
erscheint demnächst unter deinem Künstlernamen „RAHEN“. Wie lange hast du daran gearbeitet, wurde auch älteres Material verwendet?
RAHEN:
Auf meinem neuesten Album „LOST
TRACTION“ finden sich Kompositionen aus den letzten 15 Jahren meiner musikalischen Karriere. Allerdings handelt es sich hierbei keineswegs um eine bloße Zusammenstellung alter
Songs, sondern vielmehr um eine Sammlung von Stücken, die eine Reifezeit durchlaufen haben, um im Jahr 2023 ihre Vollendung zu finden. Jeder Song wurde komplett neu produziert
und eingespielt, um den höchsten Qualitätsansprüchen zu genügen. Diese Songs passen nicht unbedingt in das Repertoire meiner Clubprojekte, doch stellen sie dennoch mein bisher
persönlichstes und musikalisch ausgereiftestes Statement dar. Bei den Texten konnte ich auf die erfahrene Unterstützung von Fae Cross zählen, mit der ich bereits seit über
einem Jahrzehnt erfolgreich zusammenarbeite. Dank unserer engen Verbindung und langjährigen Zusammenarbeit können meine musikalischen Ideen auch in den Songtexten
widergespiegelt werden, was zu einem harmonischen Gesamtkunstwerk beiträgt.
Jens:
Wie haben sich die Corona-Jahre bei
dir geäußert, lag alles inkl. Motivation brach oder konntest du die Zeit wenigstens kreativ nutzen?
RaHen:
Neben meiner normalen beruflichen
Tätigkeit habe ich immer wieder an diesem Album und der Neuinterpretation meines Klassikers Moskwa TV Klassikers „Generator 7/8“ inkl. Videoproduktion gearbeitet.
Videodreh
Jens:
Hast du alles alleine erledigt?
2018 hast du gesagt, durchweg Hardwaresynths und -sequencer zu verwenden, hat sich die Arbeitsweise danach verändert?
RAHEN:
Ich habe für die Texte und
Gesangseinlagen auf meinem Album verschiedene Künstlerinnen und Künstler eingeladen. Die Produktion, Aufnahmen, Einspielungen und das Mixing habe ich jedoch allein umgesetzt. Um
das Album abzurunden, habe ich abschließend Tom Kornis von der Klangetage in Frankfurt für das Mastering gewinnen können, der die Aufnahmen erstklassig bearbeitet hat.
In meiner Arbeitsweise habe ich mich wieder mehr der DAW zugewandt. Die Soundqualität einiger Software-Synthesizer ist mittlerweile absolut herausragend. Dennoch arbeite ich sehr gerne mit Outboard-Equipment, wodurch ich den Klang meiner DAW gerne mal durch verschiedene Geräte schicke und wieder aufnehme. Auch meine REVOX B77 MKII kam als Mastering-Maschine zum Einsatz und rundete das Gesamtergebnis ab.
Jens:
Ohne DAW geht’s eben doch nicht,
welche benutzt du, gibt’s dafür bestimmte Gründe außer dem Gewohnheitsfaktor?
RAHEN:
Ich arbeite aus Gewohnheit mit
Logic Pro X auf einem MacStudio M1 Max, was momentan gut funktioniert. Zusätzlich besitze ich noch einen MacBook Pro, ebenfalls mit M1 Max und einen weiteren MacBook Pro mit i9
Prozessor. Mit den alten MacBooks, von denen ich in der Vergangenheit sehr viele hatte,
war ich oft unzufrieden. Im Sommer stiegen die Geräte regelmäßig wegen Überhitzung aus und Bauteile fielen aus. Ich bin gespannt, wie sich die neuen Rechner mit M1 und M2 bewähren werden.
Darüber hinaus produziere ich sehr gerne mit meiner Akai MPC Live MKII. Die Handhabung mit der aktuellen Softwareversion ist grandios und für mich ein Schritt zurück in die klassische Arbeitsweise. Es tut gut, sich auf diese Weise auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Jens:
Neben deiner höre ich verschiedene
Gesangsstimmen, du willst also ganz bewusst variieren?
RAHEN:
Auf „Lost Traction“ finden sich
eine Vielzahl von talentierten Sängerinnen und Sängern sowie befreundeten Musikern wieder, die dem Album eine besondere Note verleihen. Darunter sind Kurt Ader, Frank Salazar,
Stefany, Sybille, Andrea Zanaboni, Fae Cross und Kellertechnik. Jeder von ihnen bringt eine einzigartige Stimmung und Interpretation in die einzelnen Tracks ein, was das Album
sehr gut getan hat. Die Zusammenarbeit mit diesen Künstlern hat mir nicht nur viel Freude bereitet, sondern auch dazu beigetragen, dass das Album zu einem harmonischen und
facettenreichen Werk geworden ist.
Jens:
Das Klangbild fand ich bei deinen
ersteren Produktionen seinerzeit deutlich rauer und fordernder, das aktuelle Album klingt klarer, schleppender und schwermütiger, ist garniert mit vielen Phrasierungen. Spiegelt
das vielleicht auch unterbewusst das derzeitig in allen möglichen Richtungen schwer zu verdauende Zeitgeschehen wider?
RAHEN:
Als Künstler und Musiker sehe ich
meine Musik immer als Spiegelbild meiner Erfahrungen und Emotionen, die ich in der Welt um mich herum empfinde. Das aktuelle Album „Lost Traction“ ist tatsächlich musikalisch
ausgereifter und vielschichtiger als meine früheren Produktionen. Ich denke jedoch, dass das rauere und fordernde Element in meiner Musik immer noch vorhanden ist, wenn auch
vielleicht subtiler und auf eine andere Art und Weise als früher.
Was das Klangbild betrifft, so denke ich, dass es sich im Laufe der Zeit natürlich weiterentwickelt hat und von verschiedenen Einflüssen geprägt wurde. Aber es stimmt, dass das Album einen klareren, schleppenderen und schwermütigeren Sound hat als frühere Produktionen. Ich denke, dass dies zum Teil durch das aktuelle Zeitgeschehen beeinflusst wurde, das in der Tat sehr schwer zu verdauen ist. Die Pandemie, politische Unruhen, Umweltprobleme und viele andere Faktoren haben zweifellos einen Einfluss auf die Emotionen und Erfahrungen vieler Menschen, mich eingeschlossen.
Ich denke, dass es wichtig ist, als Künstler und Musiker auf diese Themen einzugehen und sie in unserer Musik zu reflektieren. Wir haben eine Verantwortung, die Welt um uns herum zu erkunden und unsere Gedanken und Gefühle auszudrücken, auch wenn es manchmal schwierig und unangenehm ist. Ich hoffe, dass mein neues Album dazu beitragen kann, einige der komplexen Emotionen und Erfahrungen, die wir in dieser schwierigen Zeit durchmachen, auszudrücken und zu reflektieren.
Das Album ist kein Ambience für Easy Listeners. Diese Songs wollen nicht konsumiert, sondern gehört und verstanden werden! Denn aus ihnen sprechen – musikalisch und textlich – die großen Gefühle und Themen wie Liebe und Leidenschaft, Wut und Hass, Ohnmacht und Obsession, wobei ich auch Tabus wie Sucht und Abhängigkeit nicht ausspare, sondern sie aus den Tiefen der menschlichen Existenz ins grelle Licht hole.
Das Lebensspektrum soll nicht auf das Angenehme und Gefällige reduziert werden, sondern ich möchte die Hörer:innen mit auf eine abenteuerliche und abwechslungsreiche Reise in ein akustisches Spiegelkabinett nehmen, in dem hinter jeder Ecke eine neue Begegnung mit dem eigenen Selbst und dem Leben wartet. Ein Leben, das bei ehrlicher Betrachtung meist wenig durchgängige Instagram-Qualität aufweist, sondern geprägt ist von Höhen und Tiefen, Schocks, Brüchen, Verlust und Irritation. Und doch erwartet die Hörer:innen keine finstere Untergangsstimmung, sondern ein feines musikalisches Gewebe aus Licht und Schatten. Der Kontrapunkt zu meinem kritischem Blick auf das Menschsein und die Welt mit ihren Systemen bildet immer die schier unerschöpfliche Lust und Freude am musikalischen Experimentieren.
Jens:
„Lost in Heaven“ auf dem Album hebt
sich ein wenig vom Rest ab, mit höherem Tempo und einem poppigen Charakter. Ist das gewollt, vielleicht als mögliche Single-Auskopplung gedacht?
RAHEN:
Tatsächlich sehe ich „Lost in
Heaven“ nicht unbedingt als Single- Auskopplung, auch wenn er sicherlich einen poppigen Charakter hat. In heutigen Streaming-Zeiten denke ich nicht mehr in den Kategorien Single
oder Album. Ich hatte tatsächlich überlegt, alle ein oder zwei Monate einen Song zu veröffentlichen, aber letztendlich habe ich mich dagegen entschieden. Ich denke, dass die
Veröffentlichung eines Albums als Gesamtwerk immer noch einen besonderen Wert hat und es erlaubt, eine bestimmte Stimmung und Atmosphäre zu kreieren.
Allerdings arbeite ich im Moment mit verschiedenen Videokünstlern zusammen, um für einige der Songs Musikvideos zu produzieren und diese dann online zu veröffentlichen. Ich lasse mir hierbei Zeit und lege viel Wert auf die Qualität, um die Zeitlosigkeit des Albums zu unterstreichen. Letztendlich geht es mir darum, die Kunst in den Vordergrund zu stellen und nicht nur schnelle Verkaufszahlen zu erzielen.
Jens:
Mich erinnert der Sound irgendwie
teilweise an Depeche Mode in der Zeit um Ende 80, Anfang 90, die Produktion und Art der Songs an Alan Wilders Projekt „Recoil“. Kann das hinkommen?
RAHEN:
Die musikalische Ära, die mich am
stärksten beeinflusst hat, war zweifellos prägend für meine Kompositionsarbeit. Diese Einflüsse sind deutlich in meinen Songs zu hören. Gleichzeitig finde ich auch Künstler
wie Massive Attack, Tricky und Genres wie Grime und Hip Hop sehr inspirierend und habe Elemente daraus in meine Musik einfließen lassen. So entsteht ein vielschichtiges Klangbild,
das verschiedene Stilrichtungen und Einflüsse miteinander vereint.
Jens:
Als ihr angefangen habt, waren der
kalte Krieg und die Angst vor der Atomkraft allgegenwärtig, s. Generator 7/8 oder die Singles von CCCP (BeatAmax), die ja auch aus eurem Dunstkreis stammten. Dieser Zeitgeist war
in Texten und Videos zahlreicher damaliger Produktionen deutlich erkennbar. Auch bei deinem aktuellen Album lieferst du Texte mit deutlichen Aussagen. Hältst du Musik für ein
passendes Medium, aus persönlicher Sicht Wichtiges zu thematisieren, z. B. wie bei „Umsturz jetzt“ aus 2011?
RAHEN:
Musik ist für mich nicht nur ein
Hobby, sondern eine Leidenschaft und eine Art zu leben. Ich glaube, dass Musik die Macht hat, Menschen zu bewegen, zu inspirieren und sogar zu verändern. Als politischer Mensch
sind mir die Ereignisse und Entwicklungen dieser Welt nicht gleichgültig. Ich bin davon überzeugt, dass es wichtig ist, über Themen wie strukturellen Rassismus, soziale
Gerechtigkeit, Umwelt und Nachhaltigkeit zu sprechen und in den Fokus zu setzen.
Deshalb versuche ich, meine Musik als Sprachrohr für diese Themen zu nutzen. Ich glaube, dass Musik eine universelle Sprache ist, die Grenzen überwinden und Menschen auf der ganzen Welt erreichen kann. Wenn ich in der Lage bin, meine Musik zu nutzen, um auf diese wichtigen Themen aufmerksam zu machen und Menschen zum Nachdenken und Handeln zu bewegen, dann habe ich das Gefühl, dass ich einen Beitrag zu einer besseren Welt leisten kann.
Natürlich kann ich nicht alle Probleme dieser Welt lösen, aber ich kann meinen Teil dazu beitragen. Letztlich ist die Musik das einzige Medium, das mir zur Verfügung steht, um meine Gedanken und Gefühle auszudrücken und mit anderen zu teilen. Ich hoffe, dass meine Musik dazu beitragen kann, das Bewusstsein für wichtige Themen zu schärfen und Menschen dazu zu bewegen, aktiv zu werden.
In Bezug auf mein aktuelles Album habe ich bewusst Themen gewählt, die deutliche Aussagen machen und gesellschaftliche Themen ansprechen.
Jens:
Wie wird das Album vertrieben,
ausschließlich digital im Eigenvertrieb oder althergebracht?
RAHEN:
Aktuell veröffentliche ich meine
Musik ausschließlich digital, aber ich habe vor, in naher Zukunft auch eine CD-Version zu veröffentlichen.
Jens:
Meiner Ansicht nach sind Labels
heutzutage fast obsolet, es sei denn, man erwischt eins, das sich wirklich intensiv um PR kümmert und über ein gutes Netzwerk verfügt. Teure Studiokosten sind ja schon länger
kein Thema mehr,
weil sich mit kleinem finanziellen Einsatz schon amtlich produzieren lässt. Wie beurteilst du das?
RAHEN:
Ich stimme vollkommen zu. Es ist
schwierig, Labels zu finden, die zuverlässig und seriös sind und tatsächlich ein gemeinsames Ziel mit dem Künstler verfolgen möchten. Leider habe ich persönlich fast
ausschließlich schlechte Erfahrungen mit solchen Labels gemacht.
Jens:
Kannst du grob das für das neue
Album eingesetzte Equipment und Software umreißen? Welcher Synth, Plug-in u. ä. darf bei dir auf keinen Fall fehlen?
RAHEN:
Hardware: Focusrite Clarett+, Warm
Audio ToneBeast TB12, Korg Radias, Korg Kronos mit KA Pro Sounds.
Software: Logic Pro X, IK Multimedia TR5 Suite + Mix Box, Slate Digital VMR, XLN Audio Retro Color, Izotope Ozone 10, NI Komplete, Phil Speiser, Tone2, U-He, Valhalla.
Jens:
Gerade in Zeiten von Spotify und
Co. ist das (große) Geldverdienen über Verkäufe vorbei, Musik wird nicht mehr besessen sondern immateriell und gesichtslos massenhaft konsumiert. Wenn noch was geht, dann über
die Live-Schiene. Was sagst du zu den Abodiensten, Fluch oder Segen?
RAHEN:
Der gegenwärtige Zustand des
Musikstreamings ist für viele Künstler eher ein Fluch als ein Segen. Es ist heutzutage fast unmöglich, ausschließlich von den Einnahmen aus dem Streaming zu leben. Allerdings
hat auch eine Art von Demokratisierung für Musiker stattgefunden, da jeder nun die Möglichkeit hat, seine Musik zu veröffentlichen. Trotzdem denke ich, dass nur Künstler mit
sehr niedrigen Ansprüchen und einem breiten Angebot an Musik in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt ausschließlich mit Streaming-Einnahmen zu bestreiten.
Jens:
Welcher Altersklasse gehören die
Anhänger und Konzertbesucher deiner Musik an?
Am Pool in Austin
RAHEN:
Das Publikum, das meine Musik hört
und die Konzerte besucht, bewegt sich in der Regel in einem Altersbereich von 30 bis 60 Jahren. Allerdings habe ich bei meinem Auftritt in Spanien festgestellt, dass das Publikum
überraschend jung war.
Jens:
Umschreibe doch noch kurz, für wen
dein neues Album interessant ist und warum man es sich unbedingt mal anhören sollte.
RAHEN:
Da empfehle ich meinen Pressetext
zum Album, der für mich sehr gut die Philosophie hinter dem Album „Lost Traction“ beschreibt. Hier ein Ausschnitt... Anschnallpflicht für dieses Album! Sonst könnte man die
Bodenhaftung verlieren. Denn was Ralf Henrich aka RaHen in diesem
seinem LETZTEN Album präsentiert, ist kein Ambience für Easy Listeners, bei dem man sich mal eben treiben lassen kann. Diese Songs wollen nicht konsumiert, sondern gehört und verstanden werden! Denn aus ihnen sprechen – musikalisch und textlich – die ganz großen Gefühle wie Liebe und Leidenschaft, Wut und Hass, Ohnmacht und Obsession, wobei RaHen auch Tabuthemen wie Sucht und Abhängigkeit nicht ausspart, sondern diese aus den Tiefen der menschlichen Existenz ins grelle Licht holt.
Hier ist jemand, der das Lebensspektrum nicht auf das Angenehme und Gefällige reduziert, sondern seine Hörer mit auf die Reise in ein akustisches Spiegelkabinett nimmt, in dem hinter jeder Ecke eine neue Begegnung mit einem selbst und dem Leben wartet. Ein Leben, das bei ehrlicher Betrachtung meist wenig durchgängige Instagram-Qualität aufweist, sondern vielfach geprägt ist von Höhen und Tiefen, Schocks, Brüchen, Verlust und Irritation. Und doch erwartet den Hörer hier keine finstere Untergangsstimmung, sondern ein feines musikalisches Gewebe aus Licht und Schatten. Denn den Kontrapunkt zu RaHens kritischem Blick auf das Menschsein und die Welt mit ihren Systemen bildet immer seine schier unerschöpfliche Lust und Freude am musikalischen Experimentieren!
„Lost Traction“ ist mein Statement. Mein Vermächtnis. Das Album empfinde ich als zeitlos. Ob es irgendjemanden interessiert? Keine Ahnung. Ich habe mein Bestes gegeben und werde mit Musik weiter vorangehen.
Jens:
Zu guter Letzt muss natürlich der
Re-Release von Generator 7/8 erwähnt werden. Ich empfand und empfinde es immer noch als sehr starken Track mit fetten Sounds und Tiefgang. Warum die Neuauflage, die ja m. E. eine
völlig andere Interpretation geworden ist? Wer singt in dieser Version, sind die anderen Beteiligten von damals auch wieder dabei gewesen?
RAHEN:
Seit einigen Jahren arbeite ich
immer wieder an einer neuen Version meines Songs „Generator 7/8“. Für mich war es ein wichtiges Anliegen, diesen Song inklusive eines passenden Videos fertigzustellen. Wie schon
damals, ist es mir auch heute noch ein Anliegen, einen kritischen und reflektierten Umgang mit neuer Technologie zu fördern. In diesem Kontext bezieht sich der Text auch auf die
Gefahren der Kernenergie und zeigt auf, wie wichtig es ist, gegen die Nutzung dieser Technologie zu kämpfen. Ursprünglich entstand der Song im Jahr 1985 und war ein wichtiger
Beitrag zur Anti-Atomkraft-
Bewegung. Doch auch heute hat das Thema nichts von seiner Aktualität verloren und der Song ist brisanter denn je.
Stellvertretend für die Kernenergie steht nun die Rolle der globalen Finanzindustrie und der europäischen Zentralbank, die fortschreitende Gentrifizierung der Innenstädte und die Auswüchse sozialer Ungleichheit im Mittelpunkt dieser aktuellen Neuinterpretation des Songs. Diese Themen sind nach wie vor sehr relevant und stehen im Zentrum meines künstlerischen Schaffens. Die neue Version von „Generator 7/8“ ist somit nicht nur ein musikalisches Statement, sondern auch ein Aufruf zur politischen Veränderung. Ich bin überzeugt davon, dass meine Musik ein Medium ist, das ich nutzen kann, um auf gesellschaftliche Probleme aufmerksam zu machen und zum Handeln zu motivieren.
RAHEN „Lost Traction“ – VÖ 21.04.2023
Jens:
Ralf, vielen Dank für das
interessante Interview und viel Erfolg mit „Lost Traction“.
RAHEN:
Es war mir eine Ehre. Vielen Dank
zurück, hat Spaß gemacht.